Daheim statt im Heim – altersgerechte Wohnformen

Die Bedürfnisse ans Wohnen ändern sich im Zeitverlauf. Für den dritten Lebensabschnitt sind altersgerechte Wohnformen gefragt. Das Spektrum der Möglichkeiten ist gross.

 

Die demographische Entwicklung zeigt es deutlich: Unsere Gesellschaft wird älter. Schon heute sind gegen 1,2 Millionen Menschen in der Schweiz über 65 Jahre alt. Einhergehend mit einer immer höheren Lebenserwartung dürfte sich in den nächsten zwei Jahrzehnten die Zahl der Senioren auf rund 1,7 Millionen erhöhen. Gleichzeitig verändern sich die Lebens­ge­wohn­heiten und -umstände dieser Altersgruppe.

 

 

 

 

 

Agil, lebenslustig und keineswegs abgeschoben auf den Altenteil, so zeigt sich heute ein grosser Teil der AHV-Rentnerinnen und -rentner. Auch in Bezug auf das Wohnen verändern sich Gewohn­heiten und Bedürfnisse. Dass die jungen Alten nach der Pensionierung ins Altersheim umziehen, ist ein viel genannter, tatsächlich aber eher seltener Vorgang. Zwischen 60 und 69 Jahren leben laut Statistik nur gerade 2% in einer Alterseinrich­­tung, zwischen 70 und 79 Jahren sind es 4%. Erst danach steigt die Zahl sprunghaft nach oben.

Wohnen wie gewohnt
Statt im Heim wohnt man am liebsten «daheim». Der grossen Mehrheit ist es in Wohnungen und Häusern am wohlsten, in denen sie schon lange lebt. Umfragen zu Wohnwünschen unter älteren Menschen machen deutlich, wie wichtig den Senioren eine unabhängige Wohnsituation und eine selbständige Lebensführung sind. Änderungsbedarf im Hinblick auf ihre Wohn­situation sehen die Älteren eher selten. Selbst wenn die Wohnungen modernen Ansprüchen an Wohn­­­­komfort und an Barrierefreiheit nicht ­genügen, wollen sie ihre angestammte Wohn­situation ungern aufgeben. Dabei sind viele bereit, enorme Anstrengungen zu unternehmen, um diese Wohn- und Lebensform auch bei einem eingeschränkten Gesundheitszustand möglichst lange aufrechtzuerhalten.

Aber das Alter macht sich irgendwann bemerkbar: das Trep­pensteigen wird mühsam, für die Pflege von Haus und Garten reicht die Kraft nicht mehr. Hinzu kommen Faktoren wie Ein­samkeit und abnehmende Mobilität. Und so keimt früher oder später bei vielen der Wunsch oder die Ein­sicht, noch einmal umzuziehen. Die Vorstel­lungen davon sind oftmals recht genau: Am liebsten soll es eine Wohnung in vertrauter Um­ge­bung sein, mit einem Sitzplatz vor der Stube, nicht zu klein, nicht zu gross, mit einem an das Alter angepassten Grundriss, Einkaufs­möglich­keiten und öffentliche Verkehrs­mittel am liebsten ganz in der Nähe. Gar keinen Anklang findet dagegen die Aussicht auf ein «Alters­ghetto», einer Nachbarschaft mit Gleich­altrigen. Statt­dessen besteht der Wunsch nach einer Nachbar­schaft der Generationen, in der es Platz für Alt und Jung hat.

 

 
 
 
 

 

Die Anbieter und Projektentwickler reagieren auf den Bedürf­niswandel: Statt einheitlicher An­gebote in Einrichtungen, die sich auf bestimmte Altersgruppen ausrichten, werden heute bei vielen neuen Überbauungen sogenannte «alterslose» Wohnungen konzipiert. Räume für alle Alters­stufen und Lebenslagen, die auch den Bedürf­nis­sen von älteren Men­schen entgegenkommen. In ihnen ist die Vielfalt von Haus­halts­formen möglich, die für den dritten Lebens­abschnitt in Frage kommen und die je nach individuellen Lebensum­ständen wählbar sind. Dabei gibt es aber nicht einen idealen Wohnungstyp oder einen idealen Ausbaustandard, zu gross sind die Unterschiede innerhalb der Gruppe der älteren Menschen.

Dennoch: Als Minimalanforderung an altersgerechtes Bauen gilt die Hindernisfreiheit. Stufen und Schwellen sind zu ver­­meiden. Dort, wo Treppen unvermeidlich sind, ist die Sicher­heit durch eine optimale Ausgestaltung zu gewähr­leisten. Hindernisfreiheit bedeutet auch, für ausreichende Bewe­gungsflächen Platz zu schaffen, damit Menschen mit Gehhilfen sichere und ­komfortable Bewegungsräume zur Verfügung stehen. Eine einfache, klar erkennbare Grund­struktur des Gebäudes erleichtert Bewohne­rinnen und Besuchern mit Wahrnehmungs- und Seh­proble­men die Orientierung. Da, wie erwähnt, nicht alle älteren Menschen dieselben gesundheit­­lichen Probleme haben, ist zu gewährleisten, dass in den Wohnungen individuelle Anpassun­gen (Montage von Haltegriffen, Teilunterfahr­barkeit der Küche etc.) ohne grösseren Aufwand möglich sind. Altersgerechte Umbauten be­stehender Gebäude und individuelle Woh­nungs­anpas­sungen stellen hohe Anforderungen an die Planerinnen und Planer, weshalb sich hier der Beizug von Fachleuten lohnt.

Wenn im hohen Alter die Pflegebedürftigkeit zu­nimmt, rückt der Einzug in eine entsprechende Einrichtung wieder ins Blickfeld. Fast ein Viertel der über 80-Jährigen, insgesamt rund 90’000 Personen wohnen in der Schweiz in einem Alters-, Senioren- oder Pflegeheim, weitere 140’000 nehmen Spitex-Leistungen in Anspruch. Den Aufwand für die Unterbringung in schweizerischen Alters­einrichtungen schätzt der Heimverband Curaviva Schweiz auf rund 6,2 Milliarden Franken pro Jahr.

 

 
 

Vergleich verschiedener Wohnformen

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Quelle: François Höpflinger (Hrsg.): Traditionelles und neues Wohnen im Alter, Seismo-Verlag, Zürich, 2004

 
 

 

 

Nischenmarkt für Luxusresidenzen
Der wachsende Markt und die Ansätze, die in Einzelfällen bis zu 200’000 Franken pro Jahr für Pflege, Kost und Logis im Heim betragen können, haben das Interesse der Finanzindustrie geweckt. Private Heimbetreiber wie die Tertia­num-Gruppe, die derzeit 15 Luxusresi­denzen in der Schweiz und in Deutschland sowie eine Reihe von weiteren Häusern im Auftrag unterhält, sind auf Expansionskurs. Allerdings sind die Wachstumschancen begrenzt, wie der Architekt und Betriebswirtschafter Samuel Gerber festgestellt hat: «Die luxuriösen Altersresi­denzen stellen einen Nischen­markt dar, der sich zunehmend als zu eng erweist.»

Gerber, der seinen Bruder Rudolf Gerber in Her­zo­genbuch­see in diesen Fragen berät, hat in einer an der Universität Zürich durchgeführten Untersuchung zum Thema «Investi­tionen in neuen Wohnraum für alte Menschen» festgestellt, dass die komfortablen Residenzen unter ihrem elitären Image leiden, und die Unter­bringungskosten für 90% der Alters­gruppe jenseits des Budgets liegen. Insgesamt wächst der Markt für Wohnen im Alter. Wenn der neue Wohnraum für die Zielgruppe der «Goldenen Generation» jedoch alters- und sozialgerecht gebaut wird, finden Angebot und Nachfrage zueinander.  

 

Text: David Strohm
Bilder: Samuel Gerber